1 Grundsätzliches
Die kantonale Steuerverwaltung stützt sich bei der Veranlagung der Steuern natürlicher und juristischer Personen auf die eingereichte Steuererklärung und allfällige weitere Belege und Untersuchungen. Dabei geht es darum, gemeinsam mit der steuerpflichtigen Person die für eine korrekte Veranlagung massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse festzustellen
(Art. 166 StG).
Bei geplanten Sachverhalten kann es für die steuerpflichtigen Personen wichtig sein, bereits im Voraus die steuerliche Beurteilung der Steuerverwaltung zu kennen. Insbesondere Unternehmungen müssen die Steuerfolgen von weitreichenden betrieblichen Entscheidungen (wie Umstrukturierungen, Sitzverlegungen etc.) im Voraus kennen, um die damit verbundenen finanziellen Folgen abschätzen zu können.
Die steuerpflichtigen Personen können in diesen Fällen die Steuerverwaltung um eine verbindliche Auskunft (Steuerruling) ersuchen. Bei einer Rulinganfrage werden der geplante Sachverhalt und die steuerliche Beurteilung genau umschrieben. Hält sich die steuerpflichtige Person bei der anschliessenden Umsetzung an die Sachverhaltsschilderung, ist die Steuerverwaltung an ihre steuerliche Beurteilung gebunden. Die steuerpflichtige Person wird in ihrem Vertrauen auf die Auskunft geschützt.
2 Formelle Aspekte
Gegenstand eines Rulingantrags können nur die in der Zuständigkeit der Steuerverwaltung liegenden Kantons- und Gemeindesteuern und die direkte Bundessteuer sein. Zu Mehrwertsteuern, Stempelabgaben und Verrechnungssteuern kann die Steuerverwaltung keine Auskünfte geben.
Rulinganträge sind schriftlich bei der zuständigen Region oder der Abteilung juristische Personen, der Abteilung Grundstückgewinnsteuer oder beim Geschäftsbereich Recht + Koordination einzureichen. Bei ausgewählten Fragestellungen wird die Steuerverwaltung die Eidgenössische Steuerverwaltung beiziehen.
Der Antrag muss die Identität der betroffenen Person(en) nennen und den geplanten Sachverhalt vollständig und detailliert darlegen. Die steuerpflichtige Person muss weiter die eigene steuerrechtliche Beurteilung des Sachverhalts darlegen und den Antrag stellen, diese Beurteilung zu bestätigen.
Damit die Steuerverwaltung den Antrag prüfen und genehmigen kann, sind eine vollständige und systematische Darstellung des Sachverhalts (inkl. graphische Darstellungen, Organigramme, Jahresrechnungen, Planbilanzen etc.) und eine qualifizierte rechtliche Beurteilung entscheidend. Unvollständige Anträge werden zur Verbesserung zurückgewiesen.
Die Beurteilung von Rulinganträgen als vorgezogener Teil der Veranlagung ist grundsätzlich kostenlos. Gebühren werden nur erhoben, wenn unvollständige Anträge (bezüglich Sachverhalt oder rechtlicher Beurteilung) zu einem - gegenüber der Veranlagung - zusätzlichen Bearbeitungsaufwand führen. Rulinganträge werden von der Steuerverwaltung möglichst speditiv behandelt.
3 Verbindlichkeit von Rulings
Wenn der Sachverhalt entsprechend der Darstellung im Rulingantrag verwirklicht wird, ist die Auskunft (Bestätigung, dass die im Rulingantrag dargestellte steuerrechtliche Beurteilung von der Steuerverwaltung geteilt wird) für die Steuerverwaltung verbindlich. Die Steuerverwaltung wird die Veranlagung entsprechend dem genehmigten Ruling vornehmen.
Die Verbindlichkeit erstreckt sich nur auf den konkreten, im Rulingantrag geschilderten Sachverhalt. Für Themen ausserhalb des vorgelegten Sachverhalts ist das Ruling nicht verbindlich. Wenn die steuerpflichtige Person einen anderen als den dargestellten Sachverhalt verwirklicht oder diesen im Rulingantrag nicht vollständig bzw. nicht richtig dargestellt hat, entfaltet das Ruling keine Verbindlichkeit. Wird der im Rulingantrag geschilderte Sachverhalt bei Rulings, welche sich über mehrere Jahre auswirken (Dauersachverhalte) nachträglich abgeändert oder anders umgesetzt, so ist der Steuerverwaltung ein aktualisierter Rulingantrag zur Beurteilung vorzulegen, um eine Bindungswirkung zu erzielen.
Eine Bindungswirkung der Steuerverwaltung besteht bei sachlich unrichtigen Zusicherungen, sofern eine vorbehaltslose und konkrete Zusicherung erfolgt ist. Die Steuerverwaltung ist an eine unrichtige Zusicherung gebunden, wenn die betroffene Person die Unrichtigkeit der behördlichen Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte und gestützt auf die unrichtige Zusicherung Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können.
Die Bindungswirkung besteht allerdings nur, wenn die gesetzlichen Grundlagen seit der Zusicherung keine Änderung erfahren haben und wenn die Interessenabwägung ergibt, dass der Schutz des Vertrauens in die unrichtige Auskunft höher zu gewichten ist, als das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung (Zum Vertrauensschutz bei unrichtigen behördlichen Auskünften, siehe z.B. BGE 131 V 472 E. 5).
Sollte es nach der Genehmigung eines Rulings zu einer Praxisänderung kommen, bleibt ein Ruling für bereits erfolgte Dispositionen weiterhin verbindlich. Soweit noch keine Dispositionen erfolgt sind, oder bei Rulings, welche sich über mehrere Jahre auswirken (Dauersachverhalte) kann die Steuerverwaltung das Ruling schriftlich widerrufen, wobei sie den steuerpflichtigen Personen eine angemessene Frist gewährt, um Strukturen oder Dispositionen ohne negative Steuerfolgen anzupassen.
4 Einbezug der Eidgenössischen Steuerverwaltung
Die Zuständigkeit für die Veranlagung der Kantons- und Gemeindesteuern und für die direkte Bundessteuer liegt bei der kantonalen Steuerverwaltung. Entsprechende Rulinganträge sind deshalb einzig an die kantonale Steuerverwaltung zu richten. Die kantonale Steuerverwaltung wird die Eidgenössische Steuerverwaltung in ausgewählten Konstellationen einbeziehen.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung ist Aufsichtsbehörde gegenüber der kantonalen Steuerverwaltung, soweit die direkte Bundessteuer betroffen ist. Sie kann den kantonalen Behörden - letztlich mangels Über- und Unterordnung der beiden Behörden - keine bindenden Weisungen im Einzelfall erteilen. Sie muss ihre Ansicht im Einzelfall mittels Ergreifens von Rechtsmitteln durchsetzen. Sie kann verlangen, dass eine Verfügung auch ihr gegenüber eröffnet wird, so dass sie Beschwerde erheben kann (Art. 103 Abs. 1 lit. d und 145 DBG). Das Gericht wird die Verfügung allerdings nur umstossen, wenn die Voraussetzungen für die Verbindlichkeit des Rulings nicht erfüllt sind.
5 Abgrenzungen
Der unscharfe Ausdruck "(Steuer-)Ruling" wird gelegentlich auch für andere Konstellationen verwendet, die vom Steuerruling im engeren Sinn zu unterscheiden sind:
Bestehen in einem zu beurteilenden Fall unsichere, nur mit unverhältnismässigem Aufwand feststellbare Sachverhaltselemente oder Bewertungs- und Schätzungsfragen, ist eine Einigung zwischen der steuerpflichtigen Person und der Steuerverwaltung zulässig. Es handelt sich um eine sogenannte Verständigung. Eine Verständigung über Rechtsfragen hingegen ist nach der geltenden behördlichen Praxis nur in engen Grenzen zulässig.
Mit einer Veranlagungsverfügung beurteilt die Steuerverwaltung gleichzeitig Bestand und Umfang der subjektiven Steuerpflicht. Wo diese Frage vorgelagert, selbständig beurteilt wird, handelt es sich um einen Vorbescheid bzw. Vorentscheid (dieser Begriff wird allerdings teilweise auch für Auskünfte verwendet).
Unzulässig ist eine Einigung zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden, auf einen konkreten Sachverhalt eine Regelung anzuwenden, welche hinsichtlich Bestand, Umfang oder Art der Erfüllung der Steuerpflicht von den gesetzlichen Bestimmungen abweicht. In einem solchen Fall liegt ein widerrechtliches Steuerabkommen vor.
Von den verbindlichen Auskünften im Sinn des Steuerrulings abzugrenzen sind auch unverbindliche Auskünfte. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach, wenn nicht ausdrücklich festgehalten wird, dass eine Auskunft unter Vorbehalt erfolgt. Typische Fälle sind telefonische Auskünfte zu komplexen Fragen, bei welchen Steuerpflichtige oder deren Vertreter erste Auskünfte zur Orientierung wünschen ("Grobbeurteilung"). Inwieweit Auskünften der Steuerverwaltung bereits Bindungswirkung für die Veranlagung zukommt, muss im Einzelfall nach Treu und Glauben beurteilt werden. Verbindliche Auskünfte erfolgen schriftlich.
Weitere Informationen:
Verhaltenskodex Steuern 2021 - Für einen respektvollen Umgang zwischen Privatwirtschaft und Behörden
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Fassung vom 22.11.2021