1 Steht ein umfassender Wechsel in der Familienbesteuerung bevor?
Heute wird das Einkommen und Vermögen von Ehegatten und Personen in eingetragene Partnerschaft ohne Rücksicht auf den Güterstand zusammengerechnet. Damit gibt es für beide Personen nur eine Steuererklärung einzureichen.
Diese gemeinsame Besteuerung wird in der Schweiz seit Jahrzehnten aus diversen Gründen hinterfragt. Die Hintergründe sind auf der Website des Bundes dargestellt: Ehepaar- und Familienbesteuerung. Mit dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Bundesgesetz über die Individualbesteuerung wird ein Wechsel von der gemeinsamen Besteuerung hin zu einer individuellen Besteuerung angestrebt – konkret füllen beide Personen danach ihre eigene Steuererklärung aus.
Der jeweils aktuelle Stand findet sich hier (Aufklappen «Verhandlungen»): 24.026 | «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)». Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag (Bundesgesetz über die Individualbesteuerung) | Geschäft | Das Schweizer Parlament
2 Haltung des Kantons Bern
Der Regierungsrat hatte sich im März 2023 zur damaligen Vernehmlassungsvorlage positioniert: Bundesgesetz über die Individualbesteuerung. Er unterstützte die Bestrebungen, auf Stufe direkte Bundessteuer die sogenannte «Heiratsstrafe» aus der Faktorenaddition möglichst rasch abzuschaffen und stossende Belastungsrelationen zu reduzieren. Er regte aber an, alternative Ausgestaltungen der Individualbesteuerung zu prüfen, die dem verfassungsmässigen Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besser Rechnung tragen als die Vernehmlassungsvorlage.
3 Betroffenheit des Kantons Bern
3.1 Vorgaben für die Kantone und verbleibende Spielräume
Der Wechsel zu einer Individualbesteuerung müsste gesamtschweizerisch für sämtliche Steuerhoheiten umgesetzt werden, also auch für die Kantons- und Gemeindesteuern. Alle 26 Kantone müssten somit ihre Gesetzgebung und Vollzugsbestimmungen (bspw. das Merkblatt 12 zur Familienbesteuerung) anpassen. Konkret wären folgende Änderungen umzusetzen:
Die «Faktorenaddition» (Zusammenrechnung von Einkommen und Vermögen bei Ehegatten und eingetragener Partnerschaft) wird aufgehoben.
Neue Zurechnungsregeln von Vermögen und Einkünften bei Ehegatten und eingetragener Partnerschaft (primär zivilrechtlich), allenfalls neue Steuerplanungsmöglichkeiten. Diesbezüglich müssten die Deklarationspflichten in der Steuererklärung erweitert werden.
Ehebezogene Abzüge (bspw. der Zweiverdienerabzug) und der Tarif für gemeinsam veranlagte Personen würden aufgehoben.
Wie bisher bleiben die Kantone frei bei der Tarifgestaltung sowie bei den Sozialabzügen und der Höhe vieler Abzüge.
3.2 Finanzielle Auswirkungen
Die Vorlage will nicht zuletzt auch die sogenannte «Heiratsstrafe» (höhere Steuerbelastung bei gemeinsam veranlagten Personen, besonders bei hohen Einkommen) bei der direkten Bundessteuer abschaffen. Es ist deshalb zu unterscheiden zwischen voraussichtlichen Steuerausfällen bei der direkten Bundessteuer und solchen bei den Kantons- und Gemeindesteuern.
Direkte Bundessteuer
Ursprünglich wurden die Einnahmeeinbussen aus der Abschaffung der «Heiratsstrafe» vom Bund auf 800 Millionen Franken beim Bund und 200 Millionen Franken bei den Kantonen und Gemeinden beziffert (weil die Kantone zu 21.2% an der direkten Bundessteuer partizipieren). In der aktuell vorgeschlagenen Version des Bundesgesetzes sind es noch 870 Millionen. Von knapp 180 - 200 Millionen, welche die Kantone tragen müssten, entfallen erfahrungsgemäss etwa 10% oder grob 20 Millionen Franken auf den Kanton Bern. Der Nationalrat möchte nun erreichen, dass diese finanziellen Verluste tiefer ausfallen (vgl. Ziffer 3.3 unten).Kantons und Gemeindesteuern
Der Kanton Bern bleibt frei bei der Festlegung seiner Tarife und der Höhe vieler Abzüge. Es wäre also theoretisch eine Vorlage denkbar, welche eine saldoneutrale Umsetzung im Kanton Bern anstrebt (keine Mindereinnahmen). Allerdings geht der Bundesrat davon aus, dass zusätzlich zu den Einbussen bei der direkten Bundessteuer «unausweichlich» Mindereinnahmen bei den Kanton- und Gemeindesteuern zu erwarten sind. Dies weil die Kantone auch mehrheitsfähige Vorlagen erstellen müssen und die Belastungsrelationen (Tarife, Abzüge) deshalb möglichst so ausgestaltet werden, dass gegenüber dem bisherigen Modell der gemeinsamen Veranlagung Mehrbelastungen für alle Steuerpflichtigen vermieden werden. Es dürfte deshalb auch auf der Ebene Kantons- und Gemeindesteuern Mindereinnahmen geben, wobei die Höhe heute nicht abgeschätzt werden kann.
3.3 Umsetzungshorizont
Neben der Anpassung von Gesetzgebungen und Vollzugsbestimmungen hätten alle schweizerischen Steuerverwaltungen auch entsprechende IT-Anpassungen vorzunehmen, die Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete (Prämienverbilligungen, Stipendienwesen, Kita-Beiträge, Ergänzungsleistungen usw.) zu prüfen und die Anzahl der Steuererklärungen nimmt deutlich zu (im Kanton Bern mehrere hunderttausend Steuererklärungen mehr).
Der Bundesrat rechnete im Rahmen der Vernehmlassung mit einem Umsetzungshorizont von mindestens 10 Jahren. In der aktuellen Fassung der Erlassänderung (hier) wird vom Nationalrat dagegen gefordert, dass die Bestimmungen spätestens «am 1. Januar des sechsten Jahres» nach Ablauf einer Referendumsfrist oder nach einer Volksabstimmung in Kraft treten müssen (Beispiel: Volksabstimmung 2026, in Kraft treten spätestens per 1. Januar 2032).
Fassung vom Jun 19, 2025